Zwischenbilanz Corona-Massnahmen


Ausführliches Interview zur Corona-Situation in der Solothurner Zeitung vom 23. Mai 2020. "Regierungsrätin Susanne Schaffner. Die SP-Gesundheitsdirektorin spricht über die Bewältigung der Pandemie und über die ungedeckten Kosten der Krise. Und darüber, welche Lehren aus dem Erlebten gezogen werden können."

Das Interview auf der Website der Solothurner Zeitung lesen

 

Wie fällt die Bilanz der Solothurner Gesundheitsdirektorin über den Umgang mit der Coronakrise zum heutigen Zeitpunkt aus?

Susanne Schaffner: Zu Beginn der Pandemie war das Bewusstsein bei der Bevölkerung für die grosse Ansteckungsgefahr des neuen Virus, gegen das niemand immun war, noch wenig ausgeprägt. Nachdem der Bund ein Verbot für Veranstaltungen über 1000 Personen ausgesprochen hatte, alles andere aber den Kantonen überliess, riet der Kanton Solothurn als einer der ersten grundsätzlich von Veranstaltungen über 100 Personen ab. Eine umstrittene Entscheidung, die sich im Nachhinein als die richtige herausstellte. Die Sensibilität im Gesundheitsamt war von Beginn weg sehr gross, da der Kantonsarzt als Immunologe bereits ab Januar die epidemische Situation in Italien und dann im Tessin beobachtete und die Gesundheitsorganisationen und die Ärzteschaft für das Thema rasch sensibilisierte.

Und die Solothurner Spitäler AG (soH)?

Die soH war bereits so aufgestellt, dass sie relativ schnell die nötigen Beatmungsplätze und Bettenstationen zur Verfügung stellen konnte, auch dank der Unterstützung der beiden Privatspitäler. Auch die Ärzteschaft und die Spitex sowie die Institutionen mit besonders gefährdeten Bewohnerinnen und Bewohnern wie die Alters- und Pflegeheime waren gut auf die Krisensituation vorbereitet respektive wurden laufend informiert und unterstützt. Selbstverständlich werden wir noch zu analysieren haben, wo Verbesserungspotenzial vorhanden ist. Zu Beginn der Pandemie haben sicher die zum Teil nicht vorhandenen beziehungsweise ungleich verteilten Schutzmaterialien für Unsicherheit gesorgt.

Überrascht es Sie, dass es nun doch rascher zu gehen scheint beim Ausstieg aus dem Lockdown als befürchtet?

Der Bund hat immer kommuniziert, dass allfällige Lockerungen der Massnahmen mit einer Abnahme der Infektionszahlen zusammenhängen. Wie die einzelnen Lockerungsschritte allerdings aussehen würden, war für die Kantone nicht immer transparent. Die Entwicklungen der Infektionszahlen geben der Strategie des Bundes im Moment recht. Ich bin gespannt, ob und welche weiteren Lockerungsschritte im Juni folgen werden. Wir als Kanton haben auch einigen Handlungsspielraum, vor allem wenn es um den Schutz von Bewohnerinnen und Bewohnern in Institutionen geht. So werden wir ab Montag wieder kontrollierte Besuche in Alters- und Pflegeheimen zulassen.

Und dies, obwohl es nicht wenige gibt, die vor einer zweiten Welle warnen.

Epidemiologinnen und Epidemiologen sprechen nicht von einer zweiten Welle, sondern von der Gefahr eines erneuten Anstiegs der Infektionszahlen. Da die sogenannte Durchseuchung erst bei einem sehr kleinen Teil der Bevölkerung stattgefunden hat, besteht die Gefahr, dass das Virus wieder ausbricht. Das können wir nur verhindern, indem wir uns weiterhin an die Hygiene- und Distanzregeln halten. Als Polizeidirektorin sehe ich da eine grosse Herausforderung: Die Fähigkeit der Polizei, die Massnahmen durchzusetzen, hängt sehr stark damit zusammen, welche Priorität die Bevölkerung der Eindämmung des Virus gibt.

Das wäre dann medizinisch für die Spitäler eine Herausforderung, die ihre Krisenszenarien wieder hochfahren müssten, aber auch volkswirtschaftlich.

Klar, mit Rückschritten umzugehen, ist immer schwieriger als mit Fortschritten. Die soH wäre aber gewappnet. Ich hoffe natürlich auch aus volkswirtschaftlichen Gründen, dass der Bund die Lockerungen nicht wieder zurückfahren muss. Die steigende Arbeitslosenquote gibt Grund zur Sorge.

Sagen Sie uns: Wie zuversichtlich sind Sie, dass das Schlimmste nun überstanden ist? Und dass es nicht zu einem Rückfall kommt?

Das ist eine sehr schwierige Einschätzung, die vom Verhalten der Bevölkerung und von der Infektionsrate abhängt. Allerdings ist es so, dass das Gesundheitssystem dank all der Vorbereitungen und Erfahrungen der letzten Monate gewappnet wäre. Zudem müssten Bevölkerung und Institutionen nicht mehr über das Virus und die nötigen Massnahmen informiert werden, was eine grosse Entlastung für die Kantone wäre.

Das dicke Ende kommt aber noch. Stichwort Ertragsausfälle und Mehraufwendungen bei den Spitälern. Wie hoch ist das Minus bei der Solothurner Spitäler AG?

Das kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wirklich beziffert werden. Bei der soH und bei den Privatspitälern ist mit Ertragsausfällen zu rechnen, weil sie die Kapazitäten für Covid-19-Patienten zur Verfügung stellen mussten und gleichzeitig keine elektiven Eingriffe, das heisst, keine nicht dringlichen und aufschiebbaren Behandlungen durchführen durften. Wir werden erst 2021 sehen, wie gross die Ertragsausfälle wirklich sind.

Wer soll das bezahlen? Die Kosten werden in die Millionen gehen.

Da der Bund die elektiven Eingriffe untersagt hat, erwarten wir von ihm auch eine Beteiligung an den entstandenen Kosten. Auch die Vorleistungsentschädigungen müssen gedeckt werden, also die Abgeltung der Kosten, die durch das Bereitstellen von Bettenkapazitäten, Testzentren usw. entstanden sind.

Sie sprechen vom Bund. Die Krankenversicherungen ihrerseits haben bereits Widerstand gegen eine Beteiligung an der Deckung der Kosten durch Prämiengelder angekündigt.

Die Abgeltung der Ertragsausfälle ist für die Krankenkassen sicher keine einfache Thematik. Andererseits haben die Krankenkassen während des Lockdown Kosten gespart, da grundsätzlich weniger medizinische Leistungen erbracht werden konnten. Ohne entsprechenden Beitrag der Krankenkassen müssten die Prämien eigentlich sinken.

Wenn wir die hiesigen Spitäler anschauen: Die soH ist auch ohne die Folgen der Pandemie ökonomisch in einer schwierigen Situation. Das Jahresergebnis 2018 war negativ, 2019 wird unter dem Deckel gehalten.

Da muss ich widersprechen: Das Jahresergebnis 2019 wird nicht unter dem Deckel gehalten. Die Generalversammlung der soH wurde wegen der Coronapandemie in den Juni verschoben. Der Geschäftsbericht ist also noch gar nicht abgesegnet. Zum Jahresergebnis 2018 kann ich nur sagen, dass die soH in der Finanzplanung vorausgesagt hat, dass die nächsten Jahre für sie finanziell herausfordernd werden. Was auch nicht wirklich überraschend ist: Mit dem vollständigen Wegfall der Abgeltung von besonderen Rahmenbedingungen durch den Kanton, mit den Kosten und Abschreibungen im Zusammenhang mit der Übernahme des Bürgerspitals, mit dem Grundsatz ambulant vor stationär sowie der Reduktion von Abgeltungen durch die Krankenversicherer im stationären Bereich hat die soH einige grosse finanzielle Brocken zu stemmen.

Trotzdem: Sind die Probleme der soH auch Führungsdefiziten geschuldet?

Wenn wir von der Führung der soH nicht überzeugt wären, würden wir eingreifen. Der Fall ist relativ klar: Viele der Herausforderungen der soH sind mittelfristiger Natur und führen kurzfristig zu Defiziten. Natürlich erwarten wir von der soH, dass sie die Defizite auf lange Sicht wieder ausgleicht. Eine negative Erfolgsrechnung sagt über die finanzielle Situation der soH wenig aus. Sie hat in den letzten Jahren genau für diese schwierige Zeit vorausschauend Reserven gebildet.

Und was ist mit den wiederkehrenden Abgängen von Chef- und Leitenden Ärzten? Von aussen betrachtet scheint es eine Häufung zu geben.

Das ist eigentlich eine Frage, die Sie der Geschäftsleitung der soH stellen müssten. Die Regierung misst die soH an den Leistungen und der Qualität, die sie im Rahmen der Spitalplanung beziehungsweise der Leistungsvereinbarungen in den einzelnen Disziplinen für die Bevölkerung erbringt. Und damit sind wir insgesamt sehr zufrieden.

Die Turbulenzen um den Abgang des Ärztlichen Direktors fielen mitten in die Coronakrise – und in die heisse Phase der Planung des Neubaubezugs.

Der ärztliche Direktor der soH hatte keine Aufgaben in Bezug auf den Neubau des Bürgerspitals. Beim Amtsantritt am 1. Januar 2020 war der Neubau schon fast fertiggestellt. Natürlich kam der Abgang zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Er hatte aber keine direkten Auswirkungen auf die Bewältigung der Coronakrise.

Wie beurteilen Sie die Performance der soH in der Coronakrise?

Sie konnte sofort die nötigen Vorhalteleistungen einrichten, sich personell verstärken und hat die Zusammenarbeit mit den Privatspitälern gesucht. Für den Standort in Dornach, wo man keine Beatmungsplätze zur Verfügung stellen konnte, kam sie auf das Gesundheitsamt zu, und es konnte rasch ein Abkommen mit dem Kanton Basel-Landschaft und dem Spital Bruderholz getroffen werden. Die Covid-19-Patienten konnten im Bruderholz versorgt werden, während die soH in Dornach die Grundversorgung für Patientinnen und Patienten aus dem Kanton Basel-Landschaft leistete.

Welche Lehren gibt es nach den bisherigen Erfahrungen daraus zu ziehen? Auch über die Kantonsgrenzen hinweg?

Ein gut funktionierendes Gesundheitssystem, das auch in der Lage ist, entsprechende Vorhalteleistungen zu erbringen und die nötige Vorsorge zu treffen, ist die Grundvoraussetzung, um solche Krisen zu bewältigen. Dazu gehört auch, dass auf gut qualifiziertes Gesundheitspersonal gezählt werden kann. Sowohl innerhalb des Kantons als auch über die Kantonsgrenze hinaus hat bereits vor der Krise ein etablierter Austausch zwischen Gesundheitsinstitutionen und eine gut organisierte Versorgungskette bestanden. Eine gute Voraussetzung für eine Zusammenarbeit, gerade in Krisensituationen.

Wie ging es Ihnen in dieser Zeit? Und wie hat sich die Befindlichkeit verändert?

Als Vorsteherin des Departements des Innern war meine Arbeit in den letzten paar Monaten stark auf die Eindämmung der Coronapandemie fokussiert. Das Gesundheitsamt war mit der Umsetzung der epidemiologischen Massnahmen beschäftigt, die Polizei mit deren Durchsetzung. Das Amt für soziale Sicherheit (ASO) unterstützte das Gesundheitsamt personell und sorgte sich um alle Sozial- und Gesundheitsinstitutionen wie Alters- und Pflegeheime, Spitex, Kindertagesstätten usw., die ihm aufsichtsrechtlich unterstellt sind. Zudem hatte das ASO auch in den eigenen Asylunterkünften einiges zu organisieren. Im Amt für Justizvollzug schliesslich mussten die Inhaftierten vor dem Virus unter schwierigsten Umständen geschützt werden.

Wie lautet Ihr vorläufiges Fazit aus der Krisenbewältigung?

Das wichtigste Fazit aus all dem, was ich gesagt habe, ist dies: Ein krisenfestes Gesundheitssystem, ein ausgebautes soziales Sicherungsnetz und eine Verwaltung, die funktioniert, sind die Voraussetzungen für die Bewältigung einer solchen Krisensituation. Wir können uns sehr glücklich schätzen, dass wir nicht in eine Situation wie Norditalien geraten sind.

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