Folter und Schweigen: Eine verhängnisvolle Kombination
Begrüssungswort am Tag der Menschenrechte in Olten am 10. Dezember 2017
„Folter lebt vom Schweigen“ heisst das diesjährige Motto des Menschenrechts-Tags. Geschwiegen wird aus verschiedenen Gründen: manchmal aus Gleichgültigkeit, oft aus Resignation. Zum Beispiel, weil Geschäftsinteressen höher gewichtet werden als fundamentale Grundrechte. Oder aus Angst wegen Repressionen.
Dass zivilgesellschaftliche Aktionen für Verfolgte durchaus wirksam sein könne, haben wir an vielen Beispielen schon gesehen - aber es sind leider immer noch viel zu Wenige. Folter und Schweigen: Eine verhängnisvolle Kombination.
Kurz vor dem Tag der Menschenrechte hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga angekündigt, dass die Schweiz 80 Flüchtlinge aus Lagern in Libyen aufnehmen wird. 80 Menschen, denen das UNO Flüchtlingskommissariat nach einer strengen Prüfung den Flüchtlingsstatus anerkannt hat. 80 Menschen, die unter erbärmlichen Bedingungen in Nordafrika gestrandet sind, in Lagern, in denen Grausamkeit, Erniedrigung, sexuelle Übergriffe und Folter an der Tagesordnung sind. Wir sind als eines der reichsten Länder dazu verpflichtet, auch einen Beitrag an die Lösung dieses gigantischen Problems zu leisten. Dabei von einer mutigen Geste zu reden, wäre masslos übertrieben. Aber es ist schon erstaunlich, was bereits eine relativ kleine Geste wie diese für Reaktionen auslöst: „Wir können nicht die ganze Welt aufnehmen“, meint eine Zürcher Nationalrätin (Barbara Steinemann, gemäss NZZ vom 8. Dezember), und ein Aargauer Ständerat ruft schon mal trotzig: „Wir haben genug!“ in die Runde.
Nein, geschwiegen wird hier nicht. Es kommt mir fast schon vor, als werde das Motto der Menschenrechts-Tage auf sehr befremdliche Art und Weise pervertiert. Es wird nicht mutig die Stimme für entrechtete Menschen in Not erhoben, sondern gegen die Schwächsten und gegen jene, die für sie eintreten, Stimmung gemacht. Wenn ich einen Blick in die Kommentarspalten der Online-Medien werfe, wünsche ich mir manchmal, es würde mehr geschwiegen. Oder jemand würde lautstark „Stopp“ sagen. Die Grenzen des Anstands und der Menschlichkeit werden in diesen Foren oft mutwillig überschritten.
Ja, wir halten die Meinungsfreiheit hoch, harte und kontroverse Diskussionen gehören zur Politik, zu unserer Streitkultur. Aber eine Bundesrätin muss sich nicht jedes „Schlötterli“ anhören, bloss weil sie ihre Arbeit macht. Medienhäuser müssen nicht jeden vor Hass triefenden und menschenverachtenden Kommentar in ihre Leserbrief- und Kommentarspalten aufnehmen. Wir erleben, wie sich Grenzen verschieben, wie extreme Positionen immer weiter in die Mitte der Gesellschaft zu rücken scheinen. Es ist irritierend zu erleben, dass Leute, die sich abfällig und verachtend über Flüchtlinge äussern, selber als mutige Mahner verstehen.
Nein, die Stimme erheben, macht noch keine mutigen Mahner. Was es braucht, sind Menschen mit Herz und Verstand. Ihre lautstarken und bestimmten Stimmen sind das wirksame Gegengewicht zu zynischem, gleichgültigem Schweigen und zu all den Hass- und Wutreden, die immer lauter werden.