Tour de Suisse
Da stehen sie direkt vor mir in ihren engen Trikots, den strammen glatt rasierten Waden, das schnittige Rennvelo neben sich. Es ist brütend heiss an diesem Sonntagnachmittag, und es riecht nach abgestandenem Schweiss. Kurz vor dem Start der Tour de Suisse in Olten steh ich unmittelbar neben Erik Zabel. „He Erik, ein Foto!“ Die Zuschauerin neben mir zückt ihren Fotoapparat und drückt ab, nachdem der Angesprochene seine Brille abgenommen hat und in die Kamera lächelt. „Ich habe gedopt, weil es ging“, hat er kürzlich sein Geständnis formuliert. Ich schau die jungen Männer an und stelle fest: Sie sehen alle gesund und sportlich aus. Radsport pur, meint das Oltner Organisationskomitee. Ob das wirklich zutrifft? Der Startschuss knallt und weg sind sie. Später seh ich sie nochmals vorbei radeln, gemütlich in der grossen Gruppe. In den Hügeln des Entlebuches werden sie sich dann duellieren und im Endspurt in Luzern den Sieg unter sich ausmachen.
Erstaunliche Ausdauer zeigen auch schon unsere Nationalratskandidatinnen und –kandidaten auf ihrer Tour de Soleure. Sie touren von einer Veranstaltung zur anderen, ein Langstreckenrennen, welches am Wahlsonntag im Herbst seinen Höhepunkt finden soll. Dieser Tross schreckt vor keiner Anstrengung zurück.
Die Kandidierenden pendeln vom Tour-de-Suisse-Promi-Apéro zur GV der Elektra Untergäu, vom 100-Jahr-Jubiläum des wasserämter Fussballclubs zu den niederämter Musiktagen, steigen beim Nordwestschweizerischen Schwingfest in den Ring, um anschliessend den lokalen Gewerbeverband zu begrüssen. Sie sprechen über Haare und Kämme und zeigen sich an Motocrossrennen. Sie sind überall dort, wo ein Zeitungsfotograf bereit steht und wehe, ihr Bild erscheint am nächsten Tag nicht in der Lokalzeitung.
Sie verlangen in ihren Reden mehr Geld für Sport, für Kultur, für die Jungen, die Alten, mehr Kinder und weniger Ausländer, mehr Defibrillatoren auf Sportplätzen und weniger Kosten im Gesundheitswesen. Sie fordern weniger Steuern für Reiche und mehr Unterstützung für die Landwirtschaft, mehr Kernkraft und weniger Abfall. Sie wünschen sich kinderreiche Familien und Sparsamkeit bei der Prämienverbilligung und was der Widersprüche mehr sind.
Doch irgendwann verliert das Doping Wahlkampf-Fieber seine Wirkung bei unseren Polit-Spitzensportlern, sind sie doch auch nicht mehr die Jüngsten. Die wenig ausgewogene Ernährung bestehend aus Weisswein und Apérohäppchen tut das ihre und so sinkt das Leistungspotential bis zum Wahltag bedrohlich. Jene, die dann völlig entkräftet das Ziel respektive den Einzug in den Nationalratssaal schaffen, sind plötzlich wieder ganz normale, vernünftige Politikerinnen und Politiker, die nichts von überrissenen Forderungen und grossen Versprechen halten.
Da schau ich mir doch statt all die Wahlfotos lieber die schönen Beine der Radrennfahrer an, Einstichstellen habe ich auf jeden Fall keine gesehen. Gewonnen hat die Etappe übrigens Erik Zabel.