Verleihung der Kunst- und Auszeichnungspreise 2021
Verleihung der Kunst- und Auszeichnungspreise 2021 des Kantons Solothurn in Grenchen
Eine Vernissage besuchen, an ein Konzert oder ins Theater gehen. Kurz: in die Welt der Kultur eintauchen. Das war aufgrund der Pandemie lange Zeit nicht oder nur eingeschränkt möglich. Heute Abend trifft sich die Kunst- und Kulturszene wieder persönlich, von Angesicht zu Angesicht. Darum freut es mich ganz besonders, mit Ihnen heute diesen Abend gemeinsam verbringen zu dürfen. Und glauben Sie mir: ich vermisse es keineswegs, dass das Thema «Corona» heute nicht im Mittelpunkt steht.
Mit der Verleihung des Kunstpreises, des Anerkennungspreises und der Fachpreise des Kantons Solothurn dürfen wir Menschen auszeichnen, die Ausserordentliches geleistet haben. Es sind künstlerisch, kulturell und forschend tätige Frauen und Männer, die mit ihrem Wirken Spuren hinterlassen haben.
Der Regierungsrat des Kantons Solothurn zeigt den Preisträgerinnen und Preisträgern mit dieser Auszeichnung seine Anerkennung und seinen Respekt. Gleichzeitig bekennt sich der Regierungsrat aber damit zur vielfältigen Kulturlandschaft in unserem Kanton, zu deren Erhalt und zu deren Förderung. So, wie wir es im Kulturleitbild des Kantons verbrieft haben.
Der heutige Anlass ist ein ganz besonderer Anlass, weil der Kunstpreis – die höchste kulturelle Auszeichnung unseres Kantons – erst zum fünften Mal an eine Frau geht. Ja, Sie haben richtig gehört, sehr geehrte Damen und Herren. Obschon der Kunstpreis seit 63 Jahren verliehen wird, sind bisher nur gerade vier Frauen damit ausgezeichnet worden. Das heisst grob gerechnet: gerade mal alle zwölf Jahre erhält eine Frau unter allen Kunst- und Kulturschaffenden im Kanton Solothurn die höchste Auszeichnung. Wenn Sie sich jetzt fragen, weshalb das so ist, kann ich Ihnen keine Antwort geben – ich weiss es nicht. Wir stellen einfach fest: Es ist so. Und wir hoffen: es wird nicht so bleiben.
Die männliche Dominanz in der Kulturwirtschaft ist wissenschaftlich belegt. Von der staatlichen Kulturförderung profitieren überwiegend männliche Kulturschaffende. Dies war bereits vor 15 Jahren das Fazit einer Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz¹. Leider hat sich dieses Bild bis heute nicht gross verändert. Aktuelle Zahlen liefert eine Vorstudie der Universität Basel zum Schweizer Kulturbetrieb².
In 14 Kantonen – darunter auch Solothurn – wurden die Sparten «darstellende Künste», «Literatur», «Musik» und «visuelle Kunst» untersucht. Mit dem Resultat: Von 828 Vergaben gingen in den letzten 20 Jahren rund 37 Prozent der Preise und Stipendien an Frauen. Etwas mehr als ein Drittel: das repräsentiert den Bevölkerungsanteil der Frauen nicht. Das repräsentiert auch nicht den Anteil der Frauen, die innerhalb der Kulturwirtschaft tätig sind. Gemäss Bundesamt für Statistik³ sind die Frauen dort sogar in der Mehrzahl.
Künstlerinnen sind also deutlich weniger sichtbar als ihre männlichen Kollegen. Und Frauen erhalten auch weniger Stipendien und Preise. Dadurch gehe der Schweiz ein grosses Potenzial an Kompetenzen und Fähigkeiten verloren, schlussfolgert die erwähnte Vorstudie. Diesem Fazit kann ich mich anschliessen. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn in der Kulturbotschaft des Bundes⁴ die Chancengleichheit im Kulturbereich explizit als Ziel erwähnt wird. Wörtlich heisst es dort, ich zitiere:
«Ziel der Kulturpolitik des Bundes sind eine angemessene Vertretung der Geschlechter in allen relevanten Bereichen [...] sowie entsprechende Förderinstrumente.» Zitat Ende.
Im Kanton Solothurn haben wir unseren Einsatz für die Chancengerechtigkeit im Kulturleitbild⁵ explizit festgehalten. Diese Chancengerechtigkeit ist nicht nur auf die Geschlechterfrage fokussiert, sondern auf den Abbau von Diskriminierung und auf mehr Diversität. Wie oft im Leben, insbesondere in der Politik, braucht es aber einen langen Atem, um eine Veränderung herbeizuführen. Möglicherweise liefert unsere heutige Feier den Anstoss zu einer solchen Veränderung. Möglicherweise stehen wir heute an einem wichtigen Wendepunkt in der Kulturpolitik unseres Kantons. Denn: Von insgesamt neun Preisen dürfen wir heute deren sechs an Frauen verleihen. Darunter auch die höchste Auszeichnung, den Kunstpreis. Ihr mögt es mir verzeihen, liebe Männer, aber darum stelle ich heute ganz bewusst die Frauen in den Mittelpunkt. Es freut mich ausserordentlich in diesem Jahr so vielen Preisträgerinnen und damit so vielen Wegbereiterinnen gratulieren zu können.
Und eine der Preisträgerinnen möchte ich, ohne alle anderen zu vergessen, besonders hervorheben. Gerade mit Blick auf die Thematik Chancengleichheit und Frauenförderung: Prof. Dr. Kathrin Altwegg. Sie hat sich ihr Leben lang für Chancengleichheit eingesetzt und erhält heute den Anerkennungspreis des Kantons. Kathrin Altwegg ist ein leuchtender Stern am Himmel, und das in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur, weil sie Weltraumforscherin ist. Kathrin Altwegg ist eine durch und durch seltene Spezies. Frauen in der Wissenschaft sind bekanntlich rar, ganz speziell in den Naturwissenschaften. Kathrin Altwegg war in ihrer Karriere oft die einzige Frau. Und sie fiel auf. Sei es wegen ihrem Beruf als Astrophysikerin, oder wegen ihrem Pensum. Als Mutter war sie als Teilzeit-Professorin angestellt.
Sich in einer Männerdomäne durchzusetzen war bestimmt nicht immer leicht. Aber sie hat allen Umständen getrotzt, und sie hat sich durchgesetzt. Noch heute sind Frauen in der Astrophysik, aber auch anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen selten anzutreffen und wenn doch, müssen sie eine gehörige Portion Selbstbewusstsein haben, um sich als Wissenschaftlerinnen Gehör zu verschaffen. Denn was Kathrin Altwegg erlebt hat, ist heute noch gang und gäbe. So sagt sie: «Solange ich im Hintergrund stand, war ich als Frau in der Männerdomäne akzeptiert. Als dann der wissenschaftliche Erfolg kam, war das für einige schon schwierig zu akzeptieren – auch, dass ich plötzlich so im Rampenlicht stand.»
Mit der Mission «Rosetta» und der Erforschung eines Kometen hat Kathrin Altwegg international für Aufsehen gesorgt. Und sie hat sich immer wieder für die Frauenförderung eingesetzt, noch heute. Frauen wie sie braucht es, um auch in Wissenschaft und Forschung einen Kulturwandel herbeizuführen. Damit mehr Mädchen und junge Frauen einen solchen Weg einschlagen.
Als ich näher in dieses Leben von Kathrin Altwegg eingetaucht bin, musste ich immer wieder schmunzeln. Da habe ich viel Humor und Selbstironie entdeckt. Sie hat zum Beispiel einmal auf ihre Teilzeitprofessur resp. ihre Tätigkeit als assoziierte Professorin angesprochen gesagt: «Nicht-ganz-100-Professoren haben das spannendere Leben». Oder: «Physiker sind ein bisschen komisch, aber Physikerinnen sind absolut normal». Das lasse ich einfach mal so stehen…
Wenn ich eingangs gesagt habe, der heutige Anlass sei ein ganz besonderer, trifft das voll und ganz zu. Wenn sich die Gesellschaft und deren Werte weiterentwickeln sollen, brauchen wir die Kultur. Aber wir brauchen eine Kultur, die Diversität nicht nur als theoretisches Konzept begreift, sondern auch lebt.
Heute sind wir auf dem besten Weg dorthin. Alle Preisträgerinnen und Preisträger, die wir heute ehren und damit wertschätzen sind ein wichtiger Teil dieser Diversität.
Und ich wünsche mir, dass wir alle im Kanton Solothurn diese Diversität auch im Alltag leben.
Ich gratuliere den Preisträgerinnen und Preisträgern im Namen des Regierungsrats des Kantons Solothurn ganz herzlich zu den Auszeichnungen. Und wie sagt es Kathrin Altwegg so treffend: «Wir sind ein Augenzwinkern in der Ewigkeit… geniessen wir den Augenblick.» In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen genussvollen Abend.
Quellen:
1 «Kulturförderung unter der Gleichstellungslupe», Auftragsstudie im Rahmen einer Diplomarbeit zum Nachdiplomstudium «Gender Management» an der
Fachhochschule Nordwestschweiz, April 2006, Autor*innen: Iris Frey, Bern, Judith Estermann, Luzern und Thomas Beyeler Moser, Bern.
2 «Geschlechterverhältnisse im Schweizer Kulturbetrieb – Eine qualitative und quantitative Analyse mit Fokus auf Kulturschaffende, Kulturbetriebe und Verbände», Forschungsprojekt im Auftrag des Swiss Center For Social Research und der Kulturstiftung Pro Helvetia, durchgeführt von Zentrum Gender Studies der Universität Basel.
3 Taschenstatistik Kultur in der Schweiz, 2021 Covid-19 Edition, herausgegeben vom Bundesamt für Kultur BAK und Bundesamt für Statistik BFS.
4 Botschaft zur Förderung der Kultur in den Jahren 2021–2024 (Kulturbotschaft 2021–2024), vom 26. Februar 2020
5 Kulturleitbild Kanton Solothurn, herausgegeben vom Regierungsrat des Kantons Solothurn (genehmigt am 27. Oktober 2020).