Virales Marketing

Politische Podiumsdiskussion im Rössli? Kalter Kaffi mit Schnaps. Flugblätterverteilen im Morgengrauen? Das Stichwort sagt es schon: schlichtweg das Grauen. Kandidatenvorstellungsrunde im trauten Kreise der innerparteilichen Konkurrenz? Die Zeitverschwendung schlechthin. Alles Methoden aus früheren Jahrhunderten. Auch wir politisch Aktiven haben es endlich gemerkt: Wir leben im Internetzeitalter!

Auf Facebook 876 Freunde wissen lassen, dass wir mit dem Studieren von 10 Kilogramm Kantonsratsakten beschäftigt sind, bringt mehr als einen halben Tag lang in der Oltner Altstadt an einem Marktstand frieren. „Meine Katze sitzt im Blumentopf“ -  „Ich drinke ein Bier“ - solche Statements sind gang und gäbe auf der Internetplattform Facebook. Sie machen die Politikerin doch sympathisch. Das erzeugt Nähe zur Wählerin und zum Wähler, lädt zum virtuellen Schulterklopfen ein. Aber das ist erst die Vorstufe.

Die Krönung des Cyber-Wahlkampfs, die Königsdisziplin, ist das virale Marketing. Sagt Ihnen nichts? Wenn Sie an Viren denken, liegen sie schon ziemlich richtig. Es geht um etwas, das sich in windeseile und scheinbar unkontrolliert über das Internet verbreitet, aber eben nur scheinbar unkontrolliert. Wenn es die Politikerin geschickt anstellt, dann läuft diese Infektion ganz nach ihren Wünschen. All die Bekannten, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben als lustige, merkwürdige oder abstruse Dinge umgehend per E-Mail an ihre Freunde weiterzureichen, sie werden zu den wahren Wahl- und Abstimmungshelfern.

Allerdings, jetzt kommen wir zum Haken der Geschichte, ist es nicht so einfach, all die nützlichen Helferinnen und Helfer mit Material zu versorgen. Ein Video mit einem pensionierten Tagesschausprecher sollte es mindestens sein. Nein, der Hund, der durch die automatische Dachschiebetür des Autos geköpft wird, eignet sich schlecht, ist zudem ein alter Hut. Wenn auf dem eigenen Mist nichts wachsen will, dann sollten die Politikerinnen und Politiker nicht gleich verzagen. Schliesslich gibt es Werbefachleute, die sich für gutes Geld gerne ihre kreativen Köpfe zerbrechen.

Wie der Abstimmungskampf  zur Personenfreizügigkeit gezeigt hat, kann der Schuss aber gehörig nach hinten losgehen. Dabei war der Plan doch so bestechend: Eine gefälschte Internetseite erzeugt Stimmung und Empörung, die per E-Mail lawinenartig verbreitet wird. Bloss, Medien und Publikum haben das abgekartete Spiel durchschaut und deren Urheber blamiert. Die freiwilligen Abstimmungshelfer sehen sich nicht gerne in der Rolle der nützlichen Idioten.

Wer weiss, vielleicht ist es ja bloss eine Frage der Zeit, dann werden sich die Leute mit Wehmut an den Politiker erinnern, der sich bei klirrender Kälte in der Altstadt die Beine in den Bauch gestanden oder an die Politikerin, die in ihrem stillen Kämmerlein ohne grosses Aufhebens die 10 Kilogramm Kantonsratsakten studiert hatte.

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