Zeit für eine mutigere Umweltpolitik
Rede zum 1. August 2019 in Winznau
Liebe Winznauerinnen und Winznauer, liebe Gäste
Die Schweiz, der Kanton Solothurn, das Gösgeramt, Winznau: Was für Gedanken sind mir durch den Kopf gegangen, als ich mir vorstellte, hier vor Ihnen zu stehen, heute am Nationalfeiertag? Ich habe noch immer die Worte der Salzburgerin in den Ohren, die ich im Piemont beim Wandern getroffen habe. Wenn sich Ausländerinnen im Ausland treffen, sprechen sie gerne über die eigene Heimat und die der anderen. Sie hat mich gefragt, ob es stimme, dass wir in der Schweiz kaum Hierarchien hätten, im Gegensatz zu Österreich, wo Obrigkeiten bei der Arbeit und Politik offenbar noch stärker den Ton angeben. Ich habe mir das überlegt und kam zum Schluss, dass daran etwas sei. Natürlich gibt es auch bei uns Leute, die glauben, etwas gleicher oder wichtiger als andere zu sein, aber wir haben durchaus eine Kultur der unkomplizierten Begegnungen auf Augenhöhe. Der Gedanke, dass alle gleichbehandelt werden sollten, ist bei uns gut verankert. Auf die Politik bezogen, so habe ich mir überlegt, bietet unser Konkordanzsystem, unsere direkte Demokratie, Mitsprachemöglichkeiten bis auf die Gemeindeebene hinunter. Ein System, das Macht begrenzt und auch Regierungsmitglieder auf allen politischen Ebenen dieses Landes einbindet in die demokratischen und von Mehrheitsentscheiden geprägten Strukturen. Ein gutes Mittel gegen selbstherrliches Regieren und Gefühle der Ohnmacht seitens der Bürgerinnen und Bürger. Personenkult gedeiht in diesem Klima kaum. Ob beruflich oder privat: wir begegnen uns hoffentlich unabhängig von Amt und gesellschaftlicher Stellung unkompliziert und auf Augenhöhe
Unvergessliches Freilicht-Theater in Winznau
Ich habe zwar nie in Winznau gewohnt, aber in Nachbargemeinden. Meine erste Wohnung hatte ich anfangs der 80er-Jahre in Lostorf, und da bin ich u.a. wegen des damals noch nicht so gut ausgebauten Busangebotes mit dem Velo von Lostorf über die wunderschöne Aussichtsterrasse, vorbei an dem etwas unheimlichen, alleinstehenden und ziemlich überwachsenen Bauernhof - ich weiss nicht, ob es den heute noch so gibt - auf der Balmisstrasse nach Winznau und dann zum Bahnhof Olten gefahren. Als ich später in Trimbach wohnte, bin ich oft über die Rankwoog der Aare entlang spazieren gegangen. Wenn ich heute dem Kanal entlangfahre, erinnere ich mich an dieses Theaterstück, das wir damals in den 80er-Jahren bei den Reihenhäusern unten an der Aare besucht hatten. Mit Stefanie Glaser, Silvia Jost und anderen bekannten Schauspielerinnen und Schauspieler. Es war, wenn ich mich richtig erinnere, das erste Freilichttheater, das ich gesehen habe und so eindrücklich, dass es mir noch heute in den Sinn kommt, wenn ich die Häuserreihe auf der anderen Seite des Kanals im Vorbeifahren erblicke. Ich kaufe übrigens jeden Samstag auf dem Markt in Olten mein Winznauer Gemüse. Ohne Winznau (und v.a. ohne Winznauer Spargeln) würde mir kulinarisch wirklich etwas fehlen. Seit wir in Olten wohnen, gehe ich ab und zu über Winznau Richtung Froburg walken und bin im Nu in unberührter Juralandschaft. Regelmässig fahren wir mit dem Velo über das Stauwehr dem Kanal entlang Richtung Obergösgen und geniessen das geruhsame Dahinfliessen des zwar künstlich angelegten aber irgendwie doch so natürlich wirkenden Kanals oder wandern dem neu gestalteten Aareufer entlang.
Arbeit, Freizeit, Verkehrsinfrastruktur, Industrieraum und Wohnquartiere, Flüsse und Wälder, Jurahänge und unberührte Natur - dies alles finden wir in dieser Region auf engstem Raum.
Unser Kanton ist geprägt von unterschiedlichen Nutzungen auf kleinstem Raum. In diesen Sommerferien habe ich das Wandern in einem abgelegenen Tal im Piemont sehr genossen. Aber ich konnte es nicht lassen, die schöne Landschaft dort mit unseren Alpen und unserem Jura zu vergleichen. Nein, die Naturlandschaften vor unserer Haustüre brauchen sich nicht zu verstecken. Ich hoffe, wir verlernen nie, die Schönheit zu sehen und vergessen auch nie, dass wir Sorge dazu tragen müssen, dass es so bleibt.
Jede Gemeinde will natürlich wachsen, will attraktive Wohn- und Arbeitsplätze, will den Stillstand vermeiden. Das alles beansprucht Ressourcen und verlangt nach Mobilität. Nutzungskonflikte sind das Stichwort. Das Spannungsverhältnis zwischen natürlichem Lebensraum und Wohn- und Industriezonen, der hohe Stellenwert von Eigentum und Autonomie macht es bis heute nicht ganz einfach, unsere natürlichen und lebenswichtigen Ressourcen wie Wasser, Boden, Luft ausreichend zu schützen.
Die gute Nachricht ist: Wir verfügen heute über Technologien, die die Umwelt schonen. Ich hoffe, dass wir uns bei unseren demokratischen Entscheiden auf allen Ebenen darauf besinnen und uns nicht von der Angst, Neues könnte etwas kosten, ausbremsen lassen. Es ist wirklich an der Zeit für eine mutigere Umweltpolitik.
Kanton Solothurn in Vorreiterrolle
Mutig wie damals in den 40er-Jahren, als der Kanton Solothurn beim Natur- und Heimatschutz eine Vorreiterrolle gespielt hatte. Während des zweiten Weltkrieges, als im Zuge der Anbauschlacht alles zu Ackerland gemacht wurde, was in der Fläche lag, erliess der Regierungsrat zwei Verfügungen zum Schutz von See- und Flussufern und fast des gesamten Juragebietes. Die Hänge und Weiden des Juras sollten besonders geschützt bleiben, da sich offenbar zu jener Zeit die Mode breit machte, Ferienhäuser an besonders schönen Ecken zu errichten. Entsprechende Baugesuche brauchten von da an auch die Zustimmung des Regierungsrates. Mit diesen Schutzverfügungen war der Kanton Solothurn, was Schutz von Natur- und Heimat betraf, der Bundespolitik um Jahrzehnte voraus. Natürlich kam es damals und kommt es heute trotzdem immer wieder zu Nutzungskonflikten. Die Zersiedelung schreitet trotz raumplanerischen Schranken fort. Etwas, das uns zurzeit stark beschäftigt, ist die Qualität des Trinkwassers. Die Diskussion, was höher gewichtet werden soll, die Bautätigkeit und wirtschaftliche Entwicklung in der Gemeinde oder der Schutz der Natur ist bis heute aktuell.
Ich bin aber überzeugt, dass angesichts der dringenden umweltpolitischen Herausforderungen das Bewusstsein jedes Einzelnen immer mehr geschärft wird.
Wir brauchen nur den politischen Willen. Wir sind es selber, die unsere Zukunft, die Zukunft unserer Kinder bestimmen. Wenn nicht in der Schweiz, wo wir alle mitreden können, wo dann?