Prävention psychischer Erkrankungen
"Die Prävention psychischer Erkrankungen als gesellschaftliche Aufgabe" - Rede im Rahmen des Symposiums der Psychiatrischen Dienste der Solothurner Spitäler AG (soH) vom 19. Dezember 2024 in Solothurn
Wie geht es dir? Wie geht es Ihnen?
Eine einfache Frage – aber wir stellen sie viel zu selten. Wir sollten uns viel mehr Zeit nehmen für unsere Mitmenschen, ihnen zuhören, nicht nur jetzt in der Zeit kurz vor Weihnachten.
Wie geht es dir? Das haben Sie vielleicht in den letzten Monaten auf einem gelben Bänkli irgendwo in einer Gemeinde in der Schweiz gelesen. «Wie geht’s dir?» ist eine Präventionskampagne. Auch der Kanton Solothurn hat sich daran beteiligt. Wir haben unseren Gemeinden gratis ein solches Bänkli zur Verfügung gestellt. 85 Solothurner Gemeinden haben mitgemacht. Auf dem «Wie geht’s dir?»-Bänkli kann man sich hinsetzen, miteinander reden, zuhören… In einer Box an diesen gelben Bänkli gibt es einfache und praktische Tipps, wie man darüber spricht, wenn es einem nicht gut geht oder wie man jemanden ansprechen soll, um den man sich sorgt.
Die «Wie geht’s dir?»-Bänkli wurden alle an einem gut besuchten Ort aufgestellt.
Sie sollen die Bevölkerung einladen, auf eine sehr einfache Art über das Thema psychische Gesundheit zu sprechen, einander zuzuhören und sich zu informieren. Denn: Soziale Kontakte sind ein zentraler Faktor zur Stärkung der psychischen Gesundheit.
Auf der Website dieser schweizweiten Aktion gibt es einen Selbst-Check. So kann man herausfinden, wie es um die eigene psychische Gesundheit steht. Fünf Fragen zur persönlichen Stimmung sind zu beantworten. Und man erfährt, wie man die eigene Gesundheit stärken kann oder wie andere dabei unterstützt werden können.
Ich habe letzte Woche diesen Selbst-Check auf der Website gemacht. Heraus kam Folgendes: ich fühle mich mittelprächtig und soll mit jemandem darüber reden, dem ich vertraue…
Nun, diesen Test habe ich mitten in der Budgetdebatte gemacht, die unser kantonales Parlament abgehalten hat. Angesichts der Kürzungen, die meinem Departement drohten, war mein Zustand nicht erstaunlich. Aber zusammen mit meinem tollen Team im Department des Innern denke ich immer wieder positiv. Das ist wichtig, auch in der Politik.
Auch im Privaten kann ich mich, können wir alle uns gewissen Fragen nicht entziehen. Und viele dieser Fragestellungen, die uns täglich begegnen, haben mit psychischer Gesundheit zu tun.
Denn:
- Psychische Gesundheit ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen sich wohl fühlen, dass sie sich entwickeln können und am sozialen Leben in der Gesellschaft teilnehmen.
- sychisch gesund fühlt sich eine Person, wenn sie ihre intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten ausschöpfen kann, wenn sie ihre alltäglichen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv arbeiten und in der Gesellschaft einen Beitrag leisten kann.
- Für die Pflege der psychischen Gesundheit ist das Zusammenspiel von Belastungen und Ressourcen entscheidend.
- Belastungen kann man mittels äusserer oder innerer Ressourcen bewältigen, zum Beispiel mit einem positiven Selbstwertgefühl. Sind die Belastungen zu erschütternd oder dauern über einen längeren Zeitraum an, beeinträchtigen sie die psychische Gesundheit.
- Wenn die Psyche angeschlagen ist, so wirkt sich dies auf alle Lebensbereiche aus und kann zu grossen Beeinträchtigungen führen – nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für ihre Angehörigen.
- Auswirkungen können sein: Essstörungen, Symptome einer Depression oder Angststörungen, Symptome einer sozialen Phobie, ADHS, posttraumatische Belastungsstörungen, Zwangs- oder Panikstörungen, spezifische Phobien.
- In der Schweiz ist im Laufe eines Jahres bis zu einem Drittel der Bevölkerung von einer psychischen Krankheit betroffen.
- Damit gehören psychische Krankheiten zu den am meisten verbreiteten Erkrankungen überhaupt. Sie treten in jeder Lebensphase und in allen Teilen der Gesellschaft auf. Und Betroffene sind in allen Lebensbereichen beeinträchtigt.
- Psychische Erkrankungen verursachen hohe volkswirtschaftliche Kosten. Schätzungen gehen von über 7 Milliarden Franken jährlich aus. Somit stellen psychische Erkrankungen eine grosse gesundheitspolitische Herausforderung dar, die eine intensive Zusammenarbeit aller Akteure verlangt.
- Psychische Erkrankungen treten oft in jungen Jahren auf. Häufig werden sie jedoch erst spät erkannt und behandelt.
Aus all diesen Gründen sind wir im Kanton Solothurn bestrebt, dass präventive Massnahmen, Früherkennung und frühe Interventionen eine stärkere Bedeutung bekommen.
Dass es das braucht, dafür sprechen aktuelle Zahlen zur psychischen Gesundheit. Ich nenne Ihnen nachfolgend ein paar Zahlen und Fakten, die vor zwei Jahren vom Schweizerischen Gesundheitsobservatorium erhoben wurden:
- 13% der Bevölkerung gaben an, dass ihr Gesundheitszustand schlechter ist als vor der Covid-19-Pandemie. Dies trifft insbesondere auf Personen ab 75 Jahren zu.
- Mehr als ein Drittel der Bevölkerung bekundete ein dauerhaftes Gesundheitsproblem. Dies nimmt mit dem Alter zu.
- Es wurde ein Anstieg bei den psychischen Belastungen verzeichnet: 18% der Bevölkerung waren durch psychische Probleme beeinträchtigt. Das ist ein Anstieg von 3% im Vergleich zu 2017. Frauen sind häufiger von psychischen Problemen betroffen, insbesondere junge Frauen von 15 bis 24 Jahren.
- Jüngere Personen verspüren öfter Einsamkeitsgefühle. 6% der Gesamtbevölkerung fühlte sich sehr oder ziemlich häufig einsam. Bei Personen von 15 bis 24 Jahren gab es mehr als eine Verdoppelung im Vergleich zur Befragung von 2017, von 4 auf 10%.
Diese Zahlen verdeutlichen: Psychische Erkrankungen gehen uns alle etwas an. Jeder zweite Mensch erkrankt in seinem Leben einmal psychisch – also rein statistisch gesehen die Hälfte aller Anwesenden in diesem Raum.
Psychische Erkrankungen sind sowohl für die Betroffenen wie auch für ihre Angehörigen mit viel Leid verbunden. Sie führen zudem zu Arbeitsausfällen und zu Gesundheitskosten. Es lohnt sich darum, in die Prävention von psychischen Erkrankungen und in die Förderung der psychischen Gesundheit zu investieren. Das ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, und darum auch eine wichtige Aufgabe des Staates.
Der Bund engagiert sich zusammen mit den Kantonen dafür, die psychische Gesundheit in der Schweiz zu fördern und die Vorbeugung und Früherkennung psychischer Erkrankungen zu verbessern. Stichwort Verbesserung: Ja, wir können und müssen noch besser werden. Ich gebe Ihnen gerne ein paar Beispiele und Ansätze:
- Beispiel Demenz: es braucht eine bessere Aufklärung und mehr Wissen darüber, was uns geistig fit hält. Bestimmte Aktivitäten spiele eine wichtige Rolle: Wie viel wir uns bewegen, wie wir uns ernähren, ob wir geistig aktiv sind und wie wir sozial eingebunden sind. Es macht Sinn, frühzeitig mit Prävention zu beginnen.
- Über psychische Probleme zu reden ist keine Selbstverständlichkeit. Das soziale Umfeld ist häufig die erste Anlaufstelle. Daher ist von grosser Bedeutung, dass die Bevölkerung über psychische Gesundheit und den Umgang mit psychischen Belastungen Bescheid weiss. Hierzu braucht weiterhin Sensibilisierung, Entstigmatisierung und Aufklärung.
- Prävention psychischer Erkrankungen ist auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Jede und Jeder ist aufgefordert, soziale Rahmenbedingungen und Lebenswelten so zu gestalten, dass gesundheitsförderliches Verhalten möglich und unterstützt wird. Hier ist die Gesellschaft als Ganzes gefordert.
- Studien zeigen: je früher eine psychische Störung erkannt und behandelt wird, desto besser ist die Prognose und desto langfristiger ist die Wirkung der Behandlung.
Und damit zur Frage: Was sind die Herausforderungen, die wir angehen müssen, damit wir die psychische Gesundheit stärken können?
- Zunächst einmal braucht es ein Bewusstsein: Psychische Krankheiten gehören zu den häufigsten und den einschränkendsten Krankheiten überhaupt. Sie wirken sich auf alle Lebensbereiche der Betroffenen aus und können zu grossen Beeinträchtigungen führen, auch für die Angehörigen und das gesamte Umfeld.
- Rund ein Drittel der Personen mit psychischen Problemen holen sich keine professionelle Hilfe – aus Angst vor Stigmatisierung und Ausgrenzung. Das bedeutet, viele Betroffene werden im Gesundheitssystem nicht «sichtbar».
- Über ein Viertel der Personen mit psychischen Problemen suchen sich keine professionelle Hilfe. Wenn sich jemand Hilfe holt, dann am häufigsten in Form eines Austauschs mit dem nahen Umfeld. Dies unterstreicht die Bedeutung eines engen sozialen Umfeldes und von niederschwelligen Beratungsangeboten. Zum Beispiel telefonische Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen. Sie leisten mit ihrem niederschwelligen Zugang einen wichtigen Beitrag zur Versorgung.
Den genannten Herausforderungen stellen wir uns als Kanton. Es ist aber in der Verantwortung von uns allen, als Gesellschaft mutig zu sein und offener mit Betroffenen und Angehörigen umzugehen.
Ich habe zu Beginn von der «Wie geht’s Dir?»-Kampagne gesprochen. Von den gelben Bänkli, die auch im Kanton Solothurn stehen. Wir haben in unserem Kanton dieses Jahr aber noch viele weitere wichtige Präventionsprojekte realisiert. Speziell erwähnen möchte ich die Anlaufstelle Suizidprävention, die wir ins Leben gerufen haben. Der Regierungsrat hat den Auftrag für diese neue Anlaufstelle erteilt und finanzielle Mittel gesprochen. Geführt wird die Anlaufstelle Suizidprävention von den Psychiatrischen Diensten der Solothurner Spitäler AG.
Die Anlaufstelle berät Betroffene, Angehörige und Fachpersonen. Sie vernetzt die bestehenden Beratungs- und Behandlungsangebote im Kanton. Und sie unterstützt bei Fragen rund um das Thema Suizidalität und den Umgang damit. Auch die Öffentlichkeitsarbeit ist Teil ihrer Aufgabe. Wir haben die neue Anlaufstelle im Frühling 2024 mit der Ausstellung «Leben, was geht» lanciert. Die Ausstellung thematisierte Suizid insbesondere aus dem Blickwinkel der Hinterbliebenen und Direktbetroffenen. Also einer Tochter, eines Vaters, einer Partnerin, aber auch des helfenden Umfelds wie Psychiater, Ärztinnen, Beratungspersonen etc.
Es ging um Sensibilisierung, das Sprechen über das Erlebte, aber auch um Ressourcenstärkung als präventiven Ansatz.
All diese Themen stehen auch im Zentrum bei den alljährlich stattfindenden Aktionstagen Psychische Gesundheit. Sie sind ein wichtiger Pfeiler in unserer Präventionsarbeit und werden seit 2009 durchgeführt. An den Aktionstagen klären wir über psychische Erkrankungen auf, wir schaffen einen Ort der niederschwelligen Begegnung und des Austausches, und wir geben Betroffenen und Angehörigen eine Stimme und eine Plattform.
Psychische Erkrankungen sind nach wie vor stark stigmatisiert und Betroffene suchen oftmals keine oder erst sehr spät Hilfe.
Seit einiger Zeit werden deshalb im Kanton auch die sogenannten ENSA-Kurse umgesetzt, die sich grosser Beliebtheit erfreuen. ENSA ist die Schweizer Version des australischen Programms «Mental Health First Aid» und bietet seit 2019 Erste-Hilfe-Kurse für psychische Gesundheit an.
Laien lernen in den Kursen, Erste Hilfe zu leisten, wenn Personen in ihrem privaten und beruflichen Umfeld psychische Probleme oder Krisen durchleben. Sie unterstützen, bis professionelle Hilfe übernimmt.
Gleichzeitig leisten Ersthelferinnen und Ersthelfer einen Beitrag, um Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Problemen in unserer Gesellschaft abzubauen.
Und das Gespräch soll eben überall gesucht werden: im Privaten, in der Firma, bei Vertrauenspersonen, aber auch bei Fachpersonen und so weiter. Damit der Stigmatisierung auf verschiedenen Ebenen entgegengewirkt werden kann.
Besonders wichtig ist uns die Gesundheitsförderung und Prävention im Kindes- und Jugendalter. Es ist eine Investition, die bis ins hohe Alter Wirkung zeigt. Das Departement des Innern setzt im Kanton Solothurn rund 45 spezifische Projekte um: in der Psychischen Gesundheit, in der Suchtprävention oder in der Gewaltprävention. All diese Projekte richten sich an Kinder und Jugendliche oder deren Bezugspersonen.
Zusätzlich braucht es niederschwellige Unterstützungs- und Beratungsangebote, welche vorgelagert zur Therapie und Behandlung zum Tragen kommen.
Sie leisten Unterstützung bei der Alltags- und Lebensgestaltung und im Umgang mit kritischen Lebensereignissen, psychischen Belastungen oder traumatischen Erfahrungen. Sie fokussieren auf das psychische Wohlbefinden, die Stabilisierung und die gesellschaftliche Teilhabe.
Entsprechende Angebote können einerseits präventiv wirken -sie können also psychische Erkrankungen verhindern. Sie können aber auch bei der Rehabilitation und Re-Integration von bereits erkrankten oder stark belasteten Menschen unterstützen.
Auch hier braucht es eine gute Vernetzung und Koordination der Angebote im Kanton Solothurn. Mit vielen dieser Unterstützungs- und Beratungsangebote bestehen im Departement des Innern Leistungsvereinbarungen.
Wie geht es dir? Wie geht es Ihnen? Das habe ich Sie zu Beginn gefragt. Ich hoffe, Sie haben durch meine Ausführungen einen Einblick erhalten in die vielfältige Präventionsarbeit in meinem Departement. Und ich kann Ihnen versprechen: Ich setze mich weiterhin dafür ein, dass die psychische Gesundheit gefördert wird und dass das Thema die Bedeutung auf der politischen Agenda erhält, die es verdient.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!