Die Ballade vom Blätterwaldsterben
In den 80er-Jahren stapelten sich in unserem Haushalt Zeitungsberge: Solothurner AZ, Vaterland (später Solothurner Nachrichten), Oltner Tagblatt, Aargauer Tagblatt und dann auch noch die Solothurner Zeitung. Alle fanden auf unserem Küchentisch Platz, alle berichteten sie über die Region Olten. Die jungen Journalistinnen und Journalisten versuchten sich gegenseitig mit sogenannten „Primeurs“ zu überbieten und brachten so viele kleine und grosse Geschichten und Kontroversen sprichwörtlich auf unseren Tisch. Einzelne Geschichten brachten es gar in die grossen Tageszeitungen. Eine spannende Zeit, die viele schreibende Talente hervorgebracht hatte, von denen einige Karriere in der Schweizer Medienlandschaft oder als Autoren gemacht haben. Diese Vielfalt der Presse währte allerdings nicht allzu lange. Innerhalb weniger Jahre schrumpfte der Blätterwald auf ein paar wenige Bäume.
Das Oltner Tagblatt, die Aargauer Zeitung, die Solothurner Zeitung sind heute alle in einer Hand und unterscheiden sich kaum noch. Für die regionale Berichterstattung ist nur noch eine Redaktion zuständig. Das OT konnte seine eigenständige Stellung relativ lange halten: Der eigene Kommentar auf der Titelseite, das Gäutier, die Rubrik Meine Meinung und auch eine umfassende Berichterstattung aus dem Kantonsrat waren geschätzte Qualitäten, nebst der ausführlichen regionalen Berichterstattung.
Der Kommentar der OT-Redaktion auf der Titelseite ist beinahe verschwunden und wir Meine-Meinung-Kolumnistinnen und -Kolumnisten müssen davon ausgehen, dass unsere Beiträge in Zukunft kaum mehr gefragt sein werden. Der lange Arm aus dem Aargau wird sich auch hier durchsetzen. Ich gehe davon aus, dass diese Kolumne nach nun doch zehn Jahren meine letzte sein wird. Das ist durchaus zu verschmerzen.
Schwerwiegender ist die Vermutung, dass künftig auch bei der politischen Berichterstattung abgebaut wird. Wir waren deshalb schon alarmiert, als am zweiten Tag der Januar-Session des Kantonsrates weder Christian von Arx noch Ueli Wild auf der Tribüne des Kantonsratsaales zu sehen waren. Wo waren die OT-Journalisten, die abwechselnd von den Kantonsratssitzungen berichten, seit ich mich erinnern kann? Es ist ihnen hoch anzurechnen, dass sie in all den Jahren unsere mehr oder weniger spannenden Debatten verfolgt hatten und auch wenn vieles unspektakulär und manchmal gar nichtssagend war, haben sie es immer wieder geschafft, das Beste aus den Voten herauszupicken und unsere Arbeit den Leserinnen und Lesern näher zu bringen. Sie haben das Ratsgeschehen nicht einfach mit einem Zweizeiler abgehandelt, sondern sich um eine umfassende und für alle verständliche Berichterstattung bemüht. Wir wussten, unsere Reden waren nicht nur fürs Protokoll, sondern auch für das OT, respektive für die aufmerksamen Leserinnen und Leser, die es hoffentlich immer noch gibt.
Auf ihr Fehlen angesprochen, teilten mir die OT-Journalisten mit, dass bloss etwas dazwischen gekommen sei. Aber künftig werde ohnehin nur noch ein OT-Journalist das Geschehen im Solothurner Ratshaus verfolgen und der könne natürlich nicht mehr alles selber schreiben.
Dass etwas dazwischen kommt, das kann durchaus ab und zu vorkommen. Aber ich war nur halbwegs beruhigt. Meine Befürchtung: Künftig blickt Olten weniger nach Solothurn als vielmehr nach dem aargauischen Baden.