Rasend
Über die enge Bergstrasse zu zweit, zu dritt nebeneinander, ein Aston Martin verfolgt von einem Alfa Romeo, dahinter die Polizei, machtlos. Durch Baustellen, im dichten Verkehr rammen sie zahllose PWs mit unschuldigen Opfern. Tote, Verletzte… Fiction… James Bond, der Held geht über Leichen.
Nebeneinander im dicken Nebel auf Hauptstrassen durch Städte und Dörfer, immer schneller, mit 'getunten' Autos, ab in die Freiheit - unschuldige Opfer bleiben zurück…. Reality ... tagtäglich üben jämmerliche Helden sich im Wettstreit mit ihresgleichen.
Sinnlose Schiessereien, Gewalt, Vergewaltigung, Drohung und Rasen sind Auswüchse unserer Gesellschaft. Sie sind seit Jahren präsent, häufig auch im Versteckten, ausser den gequälten Opfern weiss oftmals niemand davon. Wenn sie aber sichtbar werden, die Raser, Gewalttäter, Schiesswütigen, Brutalos, dann sind es immer die anderen.
An den Pranger stellen, auspeitschen, einkerkern, lebenslänglich, ausweisen… das ist geil, die Medien sagen Dank und schlagen drauflos, die SVP macht Stimmung gegen Raser (sprich Ausländer) und will selber alle Freiheiten im Strassenverkehr, ohne Radar, ohne Bussen.
Es macht mich rasend zu sehen, wie einfach die Lösungen sein sollen. Die Lösungen derjenigen, die sich für mehr Freiheit und weniger Staat, für mehr Auto und weniger Radar stark machen und nun das Böse wieder einmal erkannt haben wollen. Natürlich bei den anderen.
Wir sind betroffen. Wo ist die Lösung, was sollen wir tun? Ist es die Familie, die Herkunft, die soziale Position, der Frust, die Männlichkeit, das Anders-sein oder ganz einfach die Gleichgültigkeit, der mangelnde Respekt für Mitmenschen, das Fehlen von sozialen Wurzeln und Verbindlichkeiten, die zu solchen Exzessen führen?
Das gesellschaftliche Klima ist rau geworden, und manch einer, der das Gefühl hat, zu kurz zu kommen, geht buchstäblich über Leichen, um sich im wirklichen Leben zu bestätigen und zu beweisen. Harte Strafen sollen unmissverständlich klar machen, was wir als Gesellschaft nicht tolerieren können. Gleichzeitig müssen wir aber akzeptieren, dass auch die härtesten Strafen solche Probleme nicht aus der Welt schaffen können.
Die Guten, die die Bösen zur Freude des Publikums vernichten, das mag in einem Filmdrehbuch Sinn machen. Im wirklichen Leben aber kaum. Was wir dringend brauchen, sind neue, langfristige und nachhaltige Strategien, wie unsere Gesellschaft wieder zusammenfindet. Wie man sich messen und bestätigen kann, ohne andere zu gefährden, wie man seine Wut abreagiert, ohne sein Umfeld zu quälen. Respekt und Rücksichtnahme gegenüber Mitmenschen und sich selbst, das muss das Ziel sein. Und nicht das blindwütige, kollektive Losprügeln auf das, was wir als das Böse erkannt haben wollen, und das selbstverständlich immer nur bei den 'anderen' zu finden ist.